Ich habe seit einiger Zeit den Verdacht, dass es bei der FAZ irgendjemanden in einer Position nicht unbeträchtlichen Einflusses gibt, der insgeheim gerne einen Kindle hätte. Er liebt die hübschen kleinen weißen Dinger mit ihren putzigen runden Buchstabentasten, ihrem scharfen Tintendisplay und dem geilen silbernen Hinterteil.
Aber ach, das Verlangen des FAZ-Funktionärs bleibt ungestillt, aus einem mir nicht bekannten Grund, und so ist seine unerfüllte Liebe nach und nach in Hass umgeschlagen, der ihn dazu verleitet, jeden noch so blödsinnigen Text sofort einer prominenten Veröffentlichung zuzuführen, solange darin nur die E-Books schlecht wegkommen.
(Ich weiß natürlich nicht, ob das stimmt, aber eigentlich ist das doch ein klarer Fall. Wer eine Sache so militant und fanatisch kritisiert, muss sie doch insgeheim auch für sich selbst wollen, oder?)
Heute hat er wieder zugeschlagen.
Unter dem Titel „Mister Einprozent“ hat sich heute bei faz.net wieder einmal eine Anhäufung von Unfug und Widersinn über die Homepage ergossen, für die ein kleiner Handfeger mit Schäufelchen schon nicht mehr reicht. Eine Schubkarre braucht man vielleicht auch noch nicht, aber einen ausgewachsenen Abfalleimer sollte man dabei haben. Ein bisschen weniger tendenziös als gewohnt ist das Stück, aber das hat die Autorin tapfer durch andere Mängel auszugleichen versucht.
Ich schätze, irgendwie ist es schon ein Lob wert, wenn ein Medium mich wenigstens nicht vorsätzlich in die Irre führt… Aber zur Sache:
Seit April hat der Internetbuchhändler Amazon mehr elektronische als gedruckte Bücher verkauft
schreibt Frau von Lovenberg, was soweit noch richtig ist. (An dem sinnlosen „Seit“ wollen wir uns nicht stören. Wenn wir auf dem Niveau arbeiten wollen, sind wir morgen noch nicht fertig.) Und dann kommt:
Okay… Nun ist die Annahme durchaus plausibel, dass einer steigenden Nachfrage nach E-Books eine tendenziell sinkende nach gedruckten Büchern gegenübersteht. Ich selbst zum Beispiel kaufe mir Bücher nicht auch noch in Papier, wenn ich sie auf dem Kindle habe. Aber als Beleg für diese auch ohne Beleg überzeugende These die Pleite einer Buchhandelskette und ein Übernahmeangebot für eine anderen anzuführen, finde ich gewagt. Unternehmen gehen unter, und Unternehmen werden verkauft. Das ist in jeder Branche so, und zu jeder Zeit. Vielleicht gibt es gerade besonders viele Insolvenzen unter Buchhändlern, das wäre wieder ein Argument, aber das hat Frau von Lovenberg nicht geschrieben. Sie beruft sich auf zwei Einzelfälle.
Man mag sowas für eine Kleinigkeit halten, aber für mich ist es ein Symptom einer durchaus ernstzunehmenden Krankheit. Sogar zweier Krankheiten: Erstens brauche ich keine Journalisten, wenn ich eine freihändig aufgestellte Mutmaßung will, sowas kann ich selbst. Zweitens sollte nicht nur ein Journalist, sondern jeder Mensch wissen, dass Anekdoten keine Belege sind. Wenn ich jemanden kenne, der sich nach dem Auspendeln seines Magengeschwürs plötzlich besser fühlt, deutet das nicht auf die Wirksamkeit des Auspendelns hin. Und wenn eine Buchhandelskette Insolvenz anmeldet, deutet das nicht darauf hin, dass der ganze Buchhandel in Schwierigkeiten ist, und erst recht nicht darauf, dass E-Books Schuld daran sind. Journalisten sollten informieren, und Frau von Lovenberg tut hier das genaue Gegenteil, in zweifacher Hinsicht. Ich finde das ärgerlich. (Würde aber natürlich niemals wagen, daraus Rückschlüsse über den Gesamtzustand der FAZ oder sogar des Journalismus‘ insgesamt zu ziehen, nicht wahr?)
Die Schwalben des… fliegen wie…? Naja, ich hatte ja versprochen, diese Ebene einfach zu übersehen. Daran halte ich mich. Aber doch eins noch zum Thema „tendenziös“: Was hat Kulturpessimismus mit der Frage zu tun, auf welchem Endgerät Menschen Bücher lesen? Frau von Lovenberg arbeitet offenkundig mit der Annahme, dass E-Books kulturell (Nicht lediglich von der Handhabung oder der Benutzerfreundlichkeit her!) inhärent schlechter seien als gedruckte Bücher, und sie hält es nicht für nötig, das zu begründen oder auch nur explizit zu sagen. Man ist ja unter sich, bei der FAZ. (Kann natürlich sein, dass sei es eigentlich begründen wollte, der unbekannte Entscheider diesen Teil aber rausgestrichen hat, weil überflüssig. Aber jetzt bin ich auch ins wilde Spekulieren geraten, Entschuldigung.)
In Deutschland ist das Verhältnis umgekehrt zu dem in Amerika
Umgekehrt also. Wer nun oben im Artikel gelesen hat, dass in Amerika (was hier wohl gleichzusetzen ist mit den USA, was wiederum gleichzusetzen ist mit Amazon, den andere Zahlen tauchen in dem Artikel nicht auf) 105 E-Books auf 100 gedruckte kommen, der kann sich leicht selbst ausrechnen, wie es hierzulande steht. Genau:
Hier kommt ein E-Book auf hundert gedruckte Bücher – bestenfalls.
Dies ist übrigens der Punkt, an dem ich davon überzeugt war, dass es der FAZ gar nicht so wichtig ist, E-Books schlecht zu machen, sondern dass sie vor allem möglichst viel Unfug drüber schreiben will. So geht es auch fröhlich weiter:
Trotzdem? Vielleicht gibt es eine allgemein bekannte Faustregel, dass gut verdienende gebildete Männer keine Belletristik lesen. Für Hinweise in den Kommentaren bin ich wie immer dankbar.
Ähem. Was bitte? Dass die Herren Belletristik lesen, will ich Frau von Lovenstein glauben, aber wo kommen denn plötzlich die Schmachtfettzen her, und gibt es für diese gewagte These eigentlich noch sowas wie eine Begründung außer der blühenden Fantasie, mit der man bei faz.net offenbar gerne mal versucht, Journalismus zu substituieren (Ist vielleicht billiger, auf jeden Fall macht es weniger Arbeit.)?
Damit ist wahrscheinlich dieser Bericht hier gemeint. Dieser Bericht, der so ziemlich das Gegenteil von dem aussagt, was Frau von Lovenstein uns nahelegen möchte.
faz.net meint wahrscheinlich, dass die Studenten mit dem Kindle nicht besonders glücklich waren, weil er ihnen nicht auf die gleiche Art wie Papier die Möglichkeit gibt, Notizen zu machen, Stellen farblich zu markieren, und sich Fundstellen anhand ihrer physischen Position im Buch zu merken:
Und da muss ich mich jetzt doch schon wieder fragen, ob das noch schlampige Arbeit ist, oder doch Vorsatz. Sinngemäß würde ich das so zusammenfassen: „Bestimmte Funktionen fehlten dem Kindle zum Zeitpunkt unseres Tests noch, wurden aber inzwischen verbessert. Da gibt es jede Menge Chancen für Optimierung, das ist ein ganz spannender Markt.“ Frau von Lovenstein fasst es so zusammen:
Ja. Und falls ihr euch gerade anders als die FAZ fragt, welche Aussagekraft dieser Studie überhaupt zuzutrauen wäre, aber genau wie die FAZ zu faul seid, euch näher damit zu befassen, liefere ich anders als die FAZ gerne noch eine nicht ganz unwichtige Angabe mit: 39 Personen waren an dieser Studie beteiligt. Also repräsentativ bis zum Gehtnichtmehr.
Ach so, und zum Schluss vielleicht noch was, was einem hätte auffallen können, wenn man den Bericht der University of Washington aufmerksam gelesen hätte:
Schau mal einer an. Ob es wohl möglich wäre, dass es daran liegt, dass e-Reader größtenteils für Belletristik genutzt werden? Just sayin‘. Aber das mit den Blümchen auf dem Cover ist natürlich auch eine hübsche Idee.
Frau von Lovenberg hat wahrscheinlich Angst um ihren Job und fragt sich, wer ihr in 10 Jahren ihr Gehalt zahlt. Da in diesem Interdingsbums nur Inhalte mit sehr klarem Nutzwert Geld bringen, sieht sie möglicherweise in allem Digitalen den Teufel, der an ihrem Arbeitsplatz sägt.
Vielleicht ist sie aber auch einfach nur die erste Kulturpessimistin, die mit ihrer unsinnigen Meinung richtig liegt.
„der an ihrem Arbeitsplatz sägt“ – damit werde ich heute Metaphernkönig, oder?
@Tim: Heißt das, dass du dann das Recht bekommst, metphorische Abgaben zu erheben, Metapherngesetze zu proklamieren und Großbritannien bildhaft den Krieg zu erklären?
In dem Fall wäre ich vorsichtig. Außerdem müsstest du dich da wegen der Krönung eh an einen Geistlichen wenden.
selber schuld, muriel, was quälst du dich auch durch artikel die dir dann nur kopfweh machen?
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[…] Das macht man natürlich nur dann, wenn diese Ergebnisse einem nicht so gut in den Kram passen. Sonst muss das nicht sein. Aber […]