Die Redaktion des Magazins „Spektrum der Wissenschaft“ hat sich entschieden, im Januar 2012 mal ein ganz brandheißes Eisen anzufassen und eine Frage zu diskutieren, die sonst kaum jemand zu stellen traut und für die wir alle schon so lange atemlos auf eine Antwort warten:
Sind Wissenschaft und Religion vereinbar?
Und weil ich mir denke, dass es nach der langen Wartezeit auf ein paar Monate mehr nicht ankommt, habe ich entschieden, jetzt mal über diesen Versuch einer Antwort zu berichten. Wer das auch so sieht, findet meinen Bericht hinter dem Klick. (Spoiler: Es wird eher unterhaltsam als lehrreich.)
SdW hat sich des Problems auf zwei verschiedenen Wegen genähert. Der erste Weg ist ein Artikel des Philosophen, Mathematikers und Theologen Dr. rer. nat. Dr. phil. Christian Tapp, und damit ist so wenig los, dass ich diesen Post hier beinahe gleich wieder verworfen hätte. Stattdessen habe ich zu meiner Überraschung nicht nur viel Interessantes (was nicht heißen soll, Kluges) in dem Interview gefunden, sondern auch genug Lustiges in Tapps Text, dass ihr euch auf zwei Teile Spektrumkritik freuen könnt. Dies ist der erste:
Tapps Artikel ist ein so wirres und zielloses Gemansche, das ich mich frage, wie er jemals ein Mathematikstudium erfolgreich absolvieren konnte, aber dass Menschen gut kompartmentalisieren können, wissen wir ja, deshalb sollte ich wohl eigentlich nicht überrascht sein.
Er beginnt mit Zitaten wie Luthers „Wer […] ein Christ sein will, der […] steche seiner Vernunft die Augen aus.„, weist andererseits aber darauf hin, dass insbesondere das katholische Christentum der Vernunft gegenüber immer sehr positiv eingestellt war und kommt zu dem Ergebnis, dass die Beziehung des Christentums zur Vernunft eine ambivalente ist.
Im nächsten Schritt fragt er, was Glaube und Vernunft überhaupt sind, kommt dabei aber zu keinem Ergebnis, weil er es auch gar nicht richtig versucht:
Danke. Bloß gut, dass wir einen Fachmann haben, der uns das erklärt hat.
Nun zählt er für uns völlig sinnlos eine Reihe „gängiger Widersprüche“ im christlichen Glauben auf (Ja, wenn man seinen Text so liest und es nicht besser weiß, kommt man gar nicht auf die Idee, es könnte noch andere Formen von Religion geben.) wie diesen:
Dreht sich die Erde nicht doch um die Sonne, auch wenn Galileo dem abschwören musste?
Ja, ich weiß auch, dass das kein Widerspruch ist, sondern eine Frage. Nein, ich weiß nicht, ob Herr Tapp das auch weiß. Und nein, ich habe auch keine Ahnung, was das soll.
Dann kommt eine ganze Menge Text, der sich ungefähr so zusammenfassen lässt: „Die Bibel ist natürlich zum größten Teil nicht wörtlich gemeint, und Christen sollten sich auf Basis ihres Glaubens nicht wissenschaftlichen Erkenntnissen verweigern.“, und dann fängt er völlig aus dem Nichts plötzlich an, sich mit dem Problem des Bösen auseinanderzusetzen, mit dem Ergebnis (Ihr ahnt es vielleicht schon.), dass das echt ein Problem ist, und „eine Frage an das eigene Gewissen, was man selbst angesichts des Leids eigentlich tun soll“, was natürlich nun wirklich gar nichts mehr mit dem Thema zu tun hat, aber wer bis hierhin gelesen hat, spürt die Einschläge sowieso nicht mehr.
Anschließend wendet Herr Tapp sich der Frage zu, ob Theologie eine Wissenschaft sei. Er stellt fest, dass sie ja eigentlich genau wie alle anderen Geisteswissenschaft arbeitet, mit dem etwas problematischen Unterschied, dass sie an bestimmte unverrückbare Überzeugungen gebunden ist, aber das findet er nicht so schlimm, weil Habermas (Ich bin ja dafür, dass wir auf jedes Habermaszitat umgehend mit einem Willy-Wonka-Zitat zurückschlagen.) schon sagte, „dass Wissenschaftler für ihre Prämissen Gewissheit beanspruchen müssen und damit auf einen Akt der Anerkennung oder des Glaubens angewiesen sind.“ und weil sich ja außerdem noch nicht erwiesen hat, dass diese Überzeugungen nicht wahr sind, und so können wir zumindest nicht ausschließen, dass Theologie eine Wissenschaft ist und sollten ihr das im Zweifel ruhig gönnen, denn „schließlich geht es um eine der Gründungsdisziplinen im abendländischen Universitätskanon„. Wtf? Fragt mich bitte nicht.
Zu guter Letzt weist Herr Tapp uns noch einmal darauf hin, dass zum Beispiel Papst Benedikt seinen Gott „höchst-vernünftig“ findet und dass „eine Religion, deren Gott vom Wesen her vernünftig ist, […] sozusagen von ihrer höchsten Instanz her auf ein positives Verhältnis zur Vernunft festgelegt [wird].“
Christentum ist also total vernünftig, weil Christentum sagt, sein Gott wäre total vernünftig. „Dies ist freilich kein gemütliches Ruhekissen, sondern dauernder Anspruch, Widersprüche zu beseitigen und Verstehen zu ermöglichen.“
Ich hätte so eine Idee, wo man damit anfangen könnte.
Hm, O.K. Aber sind (Fahrrad-)Luftpumpen und Religion vereinbar?
@Tim: Einerseits steht im Alten Testament: „Wer da immer sein Rad zur Fahrt ertüchtige mittels einer Luftpumpe, der soll des Todes sterben“, andererseits steht in Mt 24:17 „Wahrlich, ich sage euch, ihr sollt eure Räder pumpen wie euch selbst.“
Aber zuallererst müssten wir natürlich klären, was eine Luftpumpe und Religion überhaupt sein soll. Also, ich hab keine Ahnung, deswegen lass uns lieber darüber nachdenken, welche Widersprüche sich typischerweise in Luftpumpen verbergen. Zum Beispiel:
*Wie kann ich verhindern, dass meine Luftpumpe gestohlen wird, wenn ich das Fahrrad irgendwo abstelle?
*Tragen Luftpumpen zum Treibhauseffekt bei, oder sind Fahrräder umweltfreundlich?
*Wäre nicht „Pumplüfter“ ein viel treffenderer Name?
Habermas hat mal gesagt, dass auch Wissenschaftler ohne Luftpumpe nicht radfahren können.
Ich denke, du musst das metaphorisch lesen. Und Kontext!
Außerdem war Habermas ja selbst so eine Art Luftpumpe.
PS: Kontexte (und Sonette) find ich sowas von beschissen.
PPS: Waaaas? Habermas lebt noch?
„Widersprüche in Luftpumpen“, toll. Mach das zum Titel Deiner Autobiographie, und ich verehre Dich künftig als Gott.
@Tim: Sollte ich jemals eine schreiben, wird genau das der Titel sein.
Das ist erschütternd!
Ich habe mir gerade verschiedene Scherze verkniffen, dass Tapp hier gelegentlich unter einem bestimmten Pseudonym kommentiert.
Selbstredend sind Wissenschaft und Religion unvereinbar. Zufällig ist zu diesem Thema gerade ein Buch von Victor J. Stenger mit dem Titel God and the Folly of Faith. The Incompatibility of Science and Religion erschienen, dessen Lektüre ich nur empfehlen kann. Ebensowenig handelt es sich bei Theologie um eine Wissenschaft. Da hilft es ingleichen nicht, irgendwelche Ähnlichkeiten mit anderen sogenannten Geisteswissenschaften (ein Begriff, der mir schon immer Unbehagen bereitet hat) aufzuzählen.
Letztlich ist diese Diskussion aber müßig, weil Theologen und andere Quacksalber wie Joseph Ratzinger immer einen Weg finden werden, irgend etwas eigentlich Sinn- und (Ge-)Haltloses daherzubrabbeln, was sich für eine Menge schlichter Gemüter und die Meister der Compartmentalisierung weise und tiefgründig anhört.
Ich stimme diesbezüglich Friedrich Nietzsche zu, der einmal (in Menschliches, Allzumenschliches, so ich mich recht entsinne) schrieb, Gedanken seien niemals tief, weil sie gar nicht tief sein könnten. In der Tat ist Tiefe eine äußerst schlechte Metapher, um einen Gedanken zu charakterisieren. Gedanken können einfach oder komplex sein, weitsichtig oder wohlüberlegt, aber nicht tief.
@Dietmar: Denkst du, was ich denke?
@ichbindaswortistich: Die Frage ist nicht beantwortbar, solange wir die entscheidenden Begriffe nicht vernünftig definieren. Wenn Tapp sowohl Vernunft und Wissenschaft fröhlich durcheinanderwirft, als auch Religion und Christentum, und für alle Begriffe jede Bestimmung verweigert, dann kann von vornherein nichts draus werden.
Religion und Wissenschaft sind zum Beispiel insofern selbstredend vereinbar, als man ein hervorragender Wissenschaftler und gleichzeitig religiös sein kann.
So wie man zu seinen Kollegen ein schrecklicher Armleuchter und zu seinen Kindern der beste und liebevollste Vater der Welt sein kann.
Es ist einfach nur merkwürdig und inkonsequent.
Ich kann nicht anders: Entweder bin ich deine Sockenpuppe oder von dir indoktriniert. Oder beides.
Ich kann nicht ander: Das war aber tiefgründig! Ó.°`
Allein wegen des Augustinuszitats lohnt sich die Lektüre schon.
@hllizi: Das:
Hm.
Ich würde vorläufig auf meinem Standpunkt bleiben, dass sie sich nicht lohnt.
Ich finde nicht einmal dieses Zitat lesenswert.
Daß man die Antwort auf den Kreationismus im Prinzip schon bei Augustinus lesen kann, finde ich zumindest interessant. Wußte ich bisher auch nicht.
@hllizi: Ich habe nie den grundsätzlichen Unterschied zwischen Kreationismus und sonstigem Aberglauben verstanden, und mit Augustinus hatte ich vorher nie was zu tun.
Vielleicht liegt’s daran, dass sich mir der interessante Aspekt nicht erschließt.
Der Unterschied wäre, daß Kreationismus gerne von Christen vertreten wird und Augustinus immerhin einer der Kirchenväter ist. Von einem New-Age-Jünger wird man ja nicht erwarten, daß er Augustinus als Autorität anerkennt. (Ob und inwiefern das Kreationisten allerdings tun, weiß ich auch wieder nicht. Die meisten von denen erkennen außer der Bibel und ihren eigenen Religionsstiftern wahrscheinlich gar nichts an.)
Interessant finde ich außerdem, daß für Augustinus Erfahrungswissen noch einen klaren und offenbar nicht unwichtigen Rang zugesprochen bekam. Ich frage mich gerade, wann die Geringschätzung der Erfahrung und die Autoritätsgläubigkeit eigentlich einsetzten. Das hatte vielleicht auch etwas mit fast ausschließlichem Aufenthalt in Skriptorien und Refektorien zu tun.
@hllizi: Ich dachte bei „sonstigem Aberglauben“ auch eher ans Christentum als an New Age.
Kreationismus stellt Behauptungen über die empirische Welt auf. ‚Das‘ Christentum im Allgemeinen tut das nicht (mehr).
@hllizi: Ich hätte schwören können, das Christentum stelle die Behauptung auf, der Sohn eines Gottes hätte Dämonen ausgetrieben, Kranke geheilt, wäre über Wasser gelaufen und von den Toten auferstanden.
Wieder was gelernt.
Zum einen verpflichtet Deine Entscheidung, das wörtlich zu nehmen, andere nicht, es auch zu tun. Und selbst wenn es wörtlich genommen wird, handelt es sich noch immer um die Behauptung wesentlich singulärer Ereignisse, nicht um ein Erklärungsmodell, das sich generell gegen eine Wissenschaft stellt.
@hllizi: Es geht hier nicht um meine Entscheidung. Ich denke, das ist der offizielle Standpunkt mindestens der beiden großen christlichen Kirchen.
Täusche ich mich?
Die RKK bekennt sich klar zur Wirklichkeit des Geschehens. Die EKD laviert irgendwie herum.
Ich weiß aber nicht, ob es, gerade in Deutschland, noch angemessen ist, die Positionen der Kirchen eins-zu-eins den einzelnen Gläubigen zuzuschreiben. Kann ich nicht beurteilen.
Ich bleibe aber dabei, daß der Glaube an das Auferstehungswunder eine andere Nummer ist, als ein komplettes konkurrierendes Erklärungssystem anzubieten. Vor allem dann, wenn Letzteres aggressiv propagiert wird und etwa Unterrichtsstoff an Schulen werden soll. Was irgendwer in seiner Freizeit glaubt, kann mir im Gegensatz dazu egal sein, sofern er mich damit in Ruhe läßt.
Na gut. Dass die Anhänger den ganzen Kram oft nicht so glauben wie die Kirchen es verkünden, falls überhaupt, darauf können wir uns einigen.
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