und ich hatte ja gesagt, wir machen das dann so lange noch weiter. Und Jungejunge, es kommt mir prinzipiell auch wirklich nötig vor. Was zurzeit an Meinung für veröffentlichungstauglich gehalten wird, gruselt mich, und ich muss mich bewusst dran erinnern, dass das nicht zwingend ein Trend sein muss, und dass schon immer viel Quatsch durch die öffentliche Debatte kroch, aber ein bisschen besorgt darf man doch wohl sein, wenn Leute sich nicht schämen, so was zu schreiben, und die faz sich nicht schämt, sowas zu drucken:
Schon diese Formulierung lässt nichts Gutes über die Gesinnung des Verfassers ahnen. Wir hören und lesen die in verschiedenen Varianten zurzeit oft, wenn Herr de Maiziére zum Beispiel meint, ein komplettes Verhüllungsverbot sei nicht ratsam, weil das BVerfG es nicht akzeptieren würde.
Was ich damit meine? Naja. Innenminister und Bundestagsabgeordnete sind Leute, die in diesem Land dafür da sind, Gesetze zu machen und auszuführen und ihre Einhaltung zu überwachen und die letzten Endes die ganze Staatsmacht in der Hand halten. Und Berthold Kohler ist immerhin ein Herausgeber einer der größten und national wie international angesehensten deutschen Tageszeitungen. Wenn solche Leute so klar zu erkennen geben, dass sie Grundrechte nicht ihrem Wesensgehalt nach verstehen und akzeptieren, sondern nur als lästige Einschränkungen ihres Handlungsspielraums verstehen, die man so weit wie irgend möglich ausschöpfen und umgehen sollte, dann ist das ein Problem, oder findet ihr nicht?
Und auch ein Problem sind natürlich die abenteuerlich irrationalen Verrenkungen, die die Befürworter eines Verschleierungsverbotes in ihrer Argumentation anstellen. Ich muss zwar zugeben, dass ich mir gar nicht sicher bin, ob ich es nicht vielleicht doch ein bisschen vorziehe, dass sie es noch für nötig halten, ihren xenophoben Mist zumindest noch ein bisschen schamhaft zu, hihi, verhüllen und hinter albernen Scheingründen zu verstecken, aber peinlich ist es andererseits doch.
Noch so ein Zeichen einer besorgniserregenden Geisteshaltung: Man kann nichts dagegen machen, wenn man es nicht verbieten kann. Das sind die zwei Alternativen, die Herr Kohler kennt: Entweder, man kann Leute bestrafen, wenn sie eine Sache tun, die einem nicht gefällt, oder man kann nichts dagegen machen. Dazwischen gibts nichts.
Und wenn nationalistische Populisten versuchen, ihre Anhänger davon zu überzeugen, dass die Stärke einer Gesellschaft sich darin zeigt, dass sie allen, die sich nicht an ihre Gepflogenheiten halten, auch mal richtig einen in die Fresse gibt, dann ist die Antwort der faz nicht etwa, zu erklären, was der Sinn hinter Freiheitsgrundrechten ist und dass die AfD und Pegida und all ihre großen und kleinen Freunde lügen und Panik verbreiten und Hysterie zu sähen versuchen, wo wir Besonnenheit und Vernunft bräuchten, sondern dann ist die Antwort die Forderung nach einem Exempel. Man könnte enttäuscht sein, wenn man Erwartungen gehabt hätte.
Bevor ihr fragt oder am Ende noch den Link klicken müsst: Nein, das ist alles noch Herr Kohlers Text in der faz. Ich bin nicht versehentlich in den Tab mit der Pegida-Page gerutscht. Das ist die Perspektive eines der Herausgeber der faz. Dass Nichtdeutsche dieses Land betreten und sich hier anders verhalten als die Ureinwohner, ist der „Preis“ der Globalisierung; ist also ein reiner Nachteil, ein Schaden für dieses Land. Ja, ich weiß, er verkauft das nicht als eigene Meinung, sondern als was die Repräsentanten des Staates den Bürgern „predigen“, aber ich muss ja nicht jeden noch so platten Kniff mitmachen, mit dem Leute ihre xenophobe und rassistische Haltung zu externalisieren versuchen.
Doch immer weniger Deutsche sind bereit, diese Behauptung zu akzeptieren.
Und ich würde mich zu ihnen zählen. Aber so meint er das natürlich nicht.
Genau. Weil der Staat natürlich bei allem, was hinderlich für die Integration ist, bis an die Grenzen gehen muss, zumindest, nachdem Leute wie Herr Kohler und die AfD und die CDU/CSU es mühsam zu „einem symbolträchtigen Thema“ hochgeschrieben haben. Und wo liegen diese Grenzen? fragt ihr euch jetzt vielleicht. Keine Angst, Herr Kohler hat eine Antwort, auch wenn er sie, wer weiß warum, nicht ganz direkt aussprechen mag:
Welche Funktion das ist, und ob alles, was eine Funktion hat, auch gleich unter Strafe erzwungen werden muss, verrät er uns nicht. Dafür hat er aber zum Schluss noch eine andere voll gute Idee, die er mit uns teilen wollte, denn mal ehrlich, was ist schon ein Verschleierungsverbot bei einem so symbolträchtigen Thema? Mit Spatzen auf Kanonen geschossen wäre das. Herr Kohler hat größere Geschütze im Angebot:
Dazu fällt mir nichts mehr ein, womit ich mir nicht selbst ein Bußgeld einhandeln könnte. Deshalb möchte ich schweigen.
Und ihr so?
„Ganz sicher vor [der Burka] und der Geisteshaltung, für die sie steht, ist man nur, wenn man sie nicht ins Land lässt.“
Wow. Da bleibt einem tatsächlich erstmal die Spucke weg.
Aber nachdem man sich von dem Schock erholt hat, was einer der Herausgeber der FAZ da so von sich gibt, hat es auch was Gutes: Immerhin lässt er mit diesem Schlusswort keinen Zweifel daran, „wes Geistes Kind er ist“, wie spitze Federn so gerne schreiben. Es lässt geradezu – meinen Federkiel, bitte – den gesamten Artikel in einem anderen Lichte erscheinen. Ein Licht, das beim „schon an seinen Grenzen allzu offenen und machtlos erscheinenden Staat“ bereits durchschimmerte.
Berthold Kohler schreibt nicht als jemand, der an einer sachlichen Diskussion darüber interessiert ist, ob Gesichtsverhüllungen generell oder unter spezifischen Bedingungen verboten werden sollten. Er schreibt als jemand, der das Narrativ von der Flüchtlingsflut die unser Land ungebremst überschwemmt, von der Überfremdung, von der baldigen und schaurigen Dominanz der Muselmanen ganz ordentlich verinnerlicht hat. Und der jetzt nach jeder Möglichkeit sucht, wie man „den Islam“ in Deutschland aufhalten kann. Denn irgendwas muss man doch „dagegen machen“.
Das macht seinen Artikel zwar nicht besser, aber immerhin muss man sich dann nicht mehr so verwundert am Kopf kratzen, warum er sowas schreibt. So passt alles zusammen, und die Welt ist wieder, naja, nicht in Ordnung, aber ein bisschen widerspruchsfreier.
„ich muss ja nicht jeden noch so platten Kniff mitmachen, mit dem Leute ihre xenophobe und rassistische Haltung zu externalisieren versuchen“
Oh HOT DAMN, den Mic Drop hab ich ja bis hier gehört! Und würde ihn gerne unzähligen Artikel- und Kommentarschreibern unter die Nase reiben. Und nein, für dieses schiefe Bild entschuldige ich mich jetzt nicht.
Die FAZ haut bei solchen Themen ja gerne mal ein oder zwei Wochen lang regelmäßig Beiträge von immer neuen Kommentatoren mit immer der gleichen Meinung raus. Gerade gegen Ende einer solchen Kampagne merkt man den Artikeln dann oft an, dass der Autor in der Redaktionskonferenz das kurze Streichholz gezogen hat.
Das gilt auch für den heutigen Kommentar von Reinhard Müller, der mit „Was geht es den Staat an, was seine Bürger anziehen? Einiges.“ beginnt und sich ebendamit auch zusammenfassen läßt.
„Das gilt auch für den heutigen Kommentar von Reinhard Müller“
Reinhard Müller? DER Reinhard Müller?
https://ueberschaubarerelevanz.com/2013/06/06/lange-nicht-mehr-faz-gebasht/
Jetzt bin ich hin- und hergerissen zwischen „den Schwachsinn muss ich lesen!“ und „den Schwachsinn sollte ich auf keinen Fall lesen“.
Danke übrigens für die Kommentare! Pardon, bin ein bisschen drüber weggekommen, drauf zu reagieren. Ja, soweit ich überblicke, ist das der Reinhard Müller, und ich würde auch hoffen, dass er einfach nur Pech hatte beim Verlosen der zu vertretenden Meinung, aber ich fürchte, so funktioniert die Welt nicht. Äh, die FAZ. Ihr wisst schon.