Es ist das Reformationsjahr. Man kann sich dem nur mit Mühe entziehen. Martin Luther ist überall.
Und meine Güte, warum nicht? Sollen ja alle feiern, wie sie meinen. Ist doch schön, wenn man sich freut. Aber da ist schon etwas sehr Gruseliges an vielen Äußerungen zu Martin Luther, und ich meine ausnahmsweise nicht den religiösen Teil. Den wollen wir heute mal ganz außen vor lassen. Ich meine den Antisemitismus. Ich meine die Tatsache, dass Luther zum Beispiel schrieb, Juden würden „unseren Herrn Jesum Christum täglich lästern und schänden“, den Christen nach „Leib, Leben, Ehre und Gut“ trachten, sie mit Wucherzinsen schädigen, sie alle gern töten, wenn sie könnten, und täten dies auch, „sonderlich, die sich für Ärzte ausgeben“. Auch wenn sie die Krankheit scheinbar zunächst heilten, würden sie nur kunstfertig „versiegeln“, so dass man später daran sterbe. Und dass das sehr oft komplett unter den Tisch fällt oder auf eine haarsträubende, mir unfassbar vorkommende Art beschönigt wird. Das passiert oft, aber ihr kennt mich, ich bin faul, deswegen beschränke ich mich auf ein Beispiel, das mir gerade ganz aktuell untergekommen ist: Mensch, Martin!
Ich fand dort diesen Text zum Thema, mit dem bezeichnenden Zitat:
Und das ist in meinen Augen schon ein starkes Stück, die Forderung nach dem Niederbrennen von Synagogen galant unter „aus heutiger Sicht antiquiert“ abzutun, ohne auch nur anzudeuten, dass der Mann, den man da als Vorbild hinstellen will, zu den Wegbereitern des Holocausts gehört. Ich finde, so geht es nicht. Natürlich darf man positiv über die Dinge sprechen, die er gut gemacht hat. Gerne sogar. Aber so eine Lobhudelei hinzuschreiben und dabei die furchtbaren Dinge einfach unter den Tisch fallen zu lassen, das geht meines Erachtens bei so einer Figur nicht. Das ist, gerade in einer Zeit, in der weit rechte Meinungen, Verachtung gegenüber religiösen und sonstigen Minderheiten, auch Antisemitismus und sogar Nationalsozialismus unter dem Deckmantel „gesunden Nationalstolzes“ oder „unverkrampften Patriotismus‚“ zunehmend an die Oberfläche blubbern, verantwortungslos. Die Krone setzt dem die originelle Idee auf, ausgerechnet gegen rassistische Tendenzen den Mut Martin Luthers zu fordern.
Und ungefähr so kommentierte ich auch:
Oder versuchte es zumindest. Der Kommentar wurde nicht freigeschaltet. Stattdessen erhielt ich eine Mail von Dr. Tanja Kasischke, in der sie mir mitteilte, dass Mensch, Martin! nicht dafür gedacht sei, über das historische Lutherbild zu sprechen, sondern den Focus auf die Gegenwart lege. (Ich würde diese Mail und die weiteren direkt zitieren. Aber sie hat mich gebeten, das nicht zu tun.)
Sie verlinkte einen Beitrag, in dem sie auf den problematischen Aspekt eingegangen war, nämlich diesen:
Der spricht zwar tatsächlich etwas direkter Luthers Judenhass an, steht aber im Stil dem anderen oft in nichts nach, finde ich. Da steht immerhin in erfreulicher Klarheit
aber auch Ausflüchte wie:
oder
Und zum Schluss die meines Erachtens meme-verdächtige Formulierung:
Trotzdem wird Martin Luther vom antisemitischen Vorwurf nie ganz freigesprochen sein.
Trotzdem. Nie ganz freigesprochen. So wie Stalin trotz allem nie ganz den Ruf los wird, kein Freund des wirtschaftsliberalen Kapitalismus gewesen zu sein.
Ich kündigte meine Absicht an, einen Blogpost zu verfassen, und Tanja (Wir haben uns in den Mails geduzt, und es kommt mir albern vor, davon jetzt abzuweichen. Es ist ja auch das Internet hier.) versuchte darauf hin, mir noch einmal zu erläutern, warum sie meinen Vorwurf unangebracht findet, sie würde etwas schönreden: Man müsse Luthers Äußerungen im Kontext sehen, und außerdem sei ein Blog kein geeignetes Medium, um Luthers Antisemitismus zum Thema zu machen. Sie meinte, es gebe zwar viel Gesprächsbedarf, den sehe sie aber eher auf einer anderen Ebene als in einem Blog. (Ich stell mich ein bisschen komisch an, weil ich wie gesagt die Mails nicht direkt zitieren soll und das schon berücksichtigen will, ihren groben Inhalt hier aber sehr relevant finde, und natürlich auch nichts unfair verzerren will, was sie geschrieben hat. Wir können in den Kommentaren auch gerne drüber reden, wie ihr das seht.)
Ich antwortete ihr darauf, dass ich das ganz anders sehe und meinen Vorwurf aufrecht erhalte und den Dialog jetzt einstellen würde, wegen unüberbrückbarer Differenzen. Sie schickte mir daraufhin noch ein Friedensangebot mit dem Hinweis, sie habe das Zitat in dem ursprünglichen Post nun angepasst, nämlich so:
Darauf habe ich nicht mehr geantwortet, weil es für mich nur untermauert, dass wir so weit voneinander entfernt sind, dass wir einander kaum noch erkennen können. Und habe nun stattdessen für euch mal meine Erfahrung mit dem Phänomen Luther anhand eines (zumindest für meine Wahrnehmung repräsentativen) Beispiels dokumentiert.
Und was meint ihr?
Ich finde es ist ja eine Freschheit, wenn man, wie diese Seite, den Lesern ein Kommentarfeld zeigt, und dann Kommentare blockt, obwohl sie weder Spam sind, noch Beleidigungen oder andere strafbare Sachen enthalten, sondern einfach nur inhaltliche Kritik.
Immerhin opfert man seine Zeit die Argumente zu formulieren, sucht evtl. noch Belege und Links raus, und dann bekommt man so die Zunge rausgestreckt.
Dann sollen sie drüber schreiben, dass sie nur für Lob, Claqueure und Begeisterung offen sind. Gefördert vom BMFSFJ, also unserem Steuergeld.
Ich habe nur 3 Beiträge angeschaut. 0 Kommentare. 0 Likes. Das ganze sieht mir nach einem potjemkinschen Dorf aus, eine Fassade, um ein paar Leuten ein paar Hunderter außer der Reihe zu überweisen, die dann andernorts auf Podien als Experten für Jugendarbeit rumsitzen.
Das steht auf der Wir-über-uns-Seite. Als könne sich ein Event selbst begreifen. Dass es die junge Generation anspricht, das hätten sie gerne, und dafür setzen sie dann so Webseiten auf. Erinnert mich an die Aktion, die kürzlich im Ketzerpodcast besprochen wurde, wo Werbemünzen in Einkaufswagen vergessen werden sollten.
Wieso ist ein Blog kein geeignetes Medium, um Luthers Antisemitismus zum Thema zu machen? Weil es da mehr Leute lesen können, als ein paar Historiker?
Das ganze ist weniger glaubwürdig als Waschmittelwerbung. Würde es mehr Leute erreichen könnte man sich aufregen.
Vorbilder sind so eine Sache, besonders, wenn sie zu einer Art „Marke“ werden.
Vorbildet geben eine Art Halt, Sicherheit.
Sie geben uns eine Form des Weges, den wir gehen wollen.
Wird so ein Vorbild kritisiert, hinterfragt gibt es oft ablehnende Reaktionen.
Manchmal auch eine Ablehnung des alten Vorbildes, verbunden mit Traurigkeit und Wut.
Luther hat Mut bewiesen lebte aber in einer Zeit, in der Antisemitismus zum Alltag gehörte.
Einen offenen Diskurs darüber zu führen erscheint mir sinnvoll.
Luther war Mensch und Menschen denken und sprechen.
Haben Meinungen.
So auch Luther.
Einen Kommentar zu blocken, der keine verletzenden, verachtenden, beleidigenden Inhalte hat, zeugt nicht von Meinungsvielfalt, Freiheit.
Für mich steckt möglicherweise eine Angst dahinter, Sachzwänge, die Angst, dass sich das Thema ausweitet und der eigene Name in einem medialen Focus gerät.
Ein Blog ist ein geeignetes Medium, um beliebige Themen zum Thema zu machen.