Freie vs. regulierte Marktwirtschaft
Überschreibt Thomas Fricke seine Kolumne und zeigt damit schon grob, wohin die Reise geht.

Dieser Weg wird kein leichter sein, nehme ich an.
Ihr könnt euch denken, dass neoliberale Vollpfosten wie ich da nicht die Klappe halten können?
Ihr denkt richtig! Wer das Desaster ganz miterleben will, folgt mir bitte hinter den Trennstrich, alle anderen malen sich das ganze Ausmaß meiner schon in jungen Jahren diagnostizierten frühkapitalistischen Arschlochhaftigkeit nur still schaudernd aus.
Den wie üblich großspurig polemischen Teaser kommentiere ich mal gar nicht, denn ich schreibe das hier gerade auf dem Handy, das erleichtert die kluge Selbstbeschränkung.
Als echten Einstieg in seine Kolumne wählt Thomas Fricke eine Aufzählung verschiedener gesetzgeberischer Absichten, gefolgt von der These, dies jetzt seien also
Joa. Ist eine Kolumne, ich weiß, und ich mach sowas auch manchmal, da bin ich sicher, aber es verrät halt auch bei Herrn Fricke was über die Grundhaltung und die Bereitschaft, sogar von der eigenen abweichende Positionen fair darzustellen. Ich würde nicht von Strohleuten reden, weil es wirklich Leute gibt, die so denken. Aber ob die wirklich in Deutschland besonders einflussreich sind und deshalb als selbstverständliche Alternative zu seiner eigenen Haltung eine gute Wahl sind, möchte ich fürs Protokoll hier schon einmal anzweifeln.
Und dann passiert was sehr … Interessantes. Er räumt nämlich (Das ist es noch nicht.) ein, dass die von ihm aufgezählten Gesetzgebungsvorhaben vielleicht wirklich nicht so toll sind, und nun mögt ihr denken, na siehst du, Muriel, hast du dich in deinem seelenlosen Journalistenhass schon wieder zu 1 vorschnellen Urteil hinreißen lassen, aber ihr hättet mich stattdessen mal lieber ausreden lassen sollen, denn der Journalist hat sich was überlegt, um mein vorschnelles Urteil doch noch zu bestätigen, passt auf:
Wer das ist, verrät er natürlich nicht. Vielleicht weiß man das in seinen Kreisen einfach, aber ich find’s trotzdem unseriös, einem ganzen langen Artikel so ein diffuses Feindbild zugrunde zu legen, statt sich mit konkreten Positionen auseinanderzusetzen und damit was gegen die so oft beklagte Polarisierung des öffentlichen Diskurses beizutragen.
Ganz zu schweigen von der merkwürdigen Idee, dass Leute, die Gesetze machen wollen, obwohl sie für so etwas gar nicht ausgebildet sind (*Schulterzucken, verwirrter Blick*), weniger Verantwortung dafür tragen, wenn diese Gesetze schlecht sind, als andere Leute, die mutmaßlich auch nicht für so etwas ausgebildet sind, weil man fürs Gesetzemachen halt eigentlich nicht in dem Sinne ausgebildet sein kann, schätze ich (*Schulterzucken, verwirrter Blick*)-
Wer hat das gepredigt? Sagt er nicht. Aber er weiß:
der hat am Ende keine konstruktive Antwort (mehr) darauf, was der Staat denn nun machen soll
Joa. Gegen die Folgerichtigkeit kann sogar ich hier wenig sagen. Wer glaubt, dass der Staat nichts kann, wird wenig konstruktiv dazu sagen können, was der Staat machen soll. Jungejunge. Da hatte ich immer das Gefühl, ich wäre als ancap eine lächerliche Minderheit, die von allen für Idioten gehalten wird, und dann stellt sich heraus, dass meine Meinung offenbar diese Republik seit Jahren komplett dominiert und so viel Einfluss hat, dass sogar der Bundestag durch unsere eifrige Aufregung gezwungen wird, schlechte Gesetze zu entwerfen (*Schulterzucken, verwirrter Blick*).
Aber warum soll er denn überhaupt was machen? Na klar, weil
Ich find’s ja schon unaufrichtig, diese unsinnige Trennung zwischen Staat und Markt als zwei sozusagen monolithischer Akteure zu perpetuieren, während man doch gerade vorgeblich gegen sie argumentiert, und außerdem wüsste ich gerne, worin Herr Fricke derzeit die größten Krisen im Land sieht. Er verrät es natürlich nicht.
Stattdessen kramt er als Beispiel die Finanzkrise raus, und darüber kann man doch ernsthaft nicht mal mehr lachen. Die Finanzbranche ist wohl eine der am engsten mit Staaten verflochtene und am strengsten regulierte überhaupt, soweit ich weiß, und es war ja nicht so, dass staatliche Akteure da ganz unbeteiligt gewesen wären.
Aber nun ist auch mal gut, Ancapmuriel, sagt ihr jetzt vielleicht, sogar du kannst doch wohl kaum bestreiten, dass private Banken da viel falsch gemacht haben, und dass das durch vernünftige Regulierung hätte vermieden werden können!
Und vielleicht habt ihr da recht. Umso alberner ist eben diese Dichotomie, die Herr Fricke erstaunlich umkritisch fortführt, obwohl der Sinn seiner ganzen Kolumne doch sein soll … Den hatte ich schon? Stimmt, tut mir leid. Ich hab aber auch noch was Neues. Also, nicht so neu. Aber was, was ich Herrn Fricke noch nicht vorgeworfen habe, nämlich meine Lieblingsbaustein der unbeholfenen Kapitalismuskritik überhaupt:
Mittlerweile, soso. Aber er bekommt einen Bonuspunkt dafür, dass er immerhin nicht homo oeconomicus gesagt hat.
Ach. Ja… Also.
Ich bin da kein Experte und will euch nicht langweilen, aber erstens ist das eine unfair verkürzte Darstellung der Idee, und zweitens ist sein Beispiel ja nun wirklich keins für eine völlige Kapitulation staatlicher Regulierung vor freiem Markt. Es ist damit in meinen Augen ähnlich hilfreich wie „Kommunismus kann nicht funktionieren, guck doch nur mal Russland an!“
Und so geht das weiter. Herr Fricke sammelt Beispiele, in denen er glaubt, dass Leute was falsch eingeschätzt haben, und befasst sich nicht mal kurz alibihaft mit der Frage, ob Menschen, die für Regierungen tätig sind, sie besser einschätzen können. Als würde man aufzählen, was Angela Merkel alles doof gemacht hat, und daraus die Überlegenheit von Horst Seehofer schlussfolgern.
Und die Takes werden immer hotter:
Ich lass das als Beispiel einfach mal so stehen, das ist so gut, das kann ich durch Kommentare nicht mehr besser machen.
Latürnich. (*Schulterzucken, verwirrter Blick*)
Kurz vor Schluss kommt dann aber immerhin noch ein interessanter Absatz. Das stört zwar meinen schönen Nörgelflow, aber wenn ich es verschwiege, wäre ich damit ja kaum noch besser als Herr Fricke. Und ihr könnt euch sicher denken, dass mir viel daran liegt, besser zu sein als Herr Fricke. Zum Glück ist es nicht so schwer.
Wie die aussehen könnten, lassen neuere Forschungen allmählich erahnen.
Und dann nennt und verlinkt er mehrere Studien, die auch noch zu besprechen sicher interessant wäre, mich aber leider gerade überfordert. Ich werde aber versuchen, sie zu lesen, denn sie klingen interessant.
Die italo-amerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato hat ausgewertet, wo und wie staatliche Stellen wichtige Innovationen ausgelöst haben. Der Mannheimer Ökonom Tom Krebs hat Methoden entwickelt, die messen, welchen Nutzen einzelne öffentliche Investitionen für Wirtschaft und Finanzminister haben – etwa weil sie mehr Wachstum und so auch mehr Steuereinnahmen bringen. Der Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor Jens Südekum arbeitet an Modellen, wie Regionen sich besser gegen plötzliche Strukturbrüche schützen und auf neue Wirtschaftsbranchen umstellen könnten.
Jede Rezension sollte auch was Gutes an ihrem Objekt finden, hat Professor Hof mir mal beigebracht. Ich hoffe, er ist stolz auf mich, wenn er das hier liest.
Und das ist schon lustig. Find ich.
Herr Fricke hat jetzt einen langen Text darüber, der in umfertigen, aber vielversprechenden Ideen dazu kulminiert, wie staatliche Regulierung besser funktionieren kann.
Das ist ein tolles Thema, und ich hätte total gerne einen Artikel gelesen, der sich damit befasst, der diese Studien erklärt, und Schlussfolgerungen daraus vorschlägt, und so. Herr Fricke hätte diesen Artikel vielleicht fast geschrieben. Aber dann hat er stattdessen doch lieber nur ein paar billige „Guckt, wie doof der Markt ist!“-Klischees aneinandergereiht, die Links zu den Studien dran getackert und dann, womöglich erschrocken von diesem ungewohnten kurzen Anflug einer differenzierten Auseinandersetzung mit echten Themen, schnell noch 1 bisschen Kapitalismusbashing hinterhergeschoben, damit seine Zielgruppe noch weiß, dass sie bei ihm richtig ist:
Ich finde das sehr schade.
Und ihr?