Ja, irgendwie sagt es etwas Nichtgutes über mich aus, dass ich mich bemüßigt fühle, diesen Beitrag zu verfassen, aber was ist ein Blog, das nur Gutes über seinen Autor aussagt, schon wert. Ich rede mir aber derzeit auch noch ein, nebenbei auch noch ein legitimes Anliegen zu verfolgen, sodass einem Beginn des Artikels eigentlich wirklich nichts mehr im Weg steht, außer meinem eigenen Unwillen, aufzuzeigen, wie kleinlich ich manchmal bin.
Ich war kürzlich mal wieder bei einer Familienfeier. Hat mir gut gefallen. Das Essen war toll, und es dauerte nicht so lange, weil es spät anfing und ich die günstige Ausrede hatte, weit nach Hause fahren zu müssen. Im Rahmen dieser Feier saß ich ca. 90 Minuten lang an einem Tisch mit Verwandten und anderen Gästen, die sich über die Finanzkrise, insbesondere Griechenland, unterhielten. Ich höre solchen Gesprächen manchmal ganz gerne dumm lächelnd zu und mache mir einen Spaß daraus, im Geiste mitzusprechen. Das kann man nach meiner Erfahrung ganz gut, denn wenn man zwei solcher Gespräche gehört hat, kennt man sie alle. Nach meiner Erfahrung werden diese Gespräche meistens von wenigen Personen dominiert, zwei oder drei, die in sehr ruhigem scholl-latourhaftem Tonfall die Welt erklären, nebst einigen Mitläufern, die hin und mal wieder etwas einwerfen, dem die Rädelsführer dann nicht offen widersprechen, aber den Kommentar doch mit kaum verkennbarer Missachtung übergehen. Diese Missachtung ist unabhängig von der Sinnhaftigkeit des jeweiligen Einwurfs.
„Es war ja eigentlich schon lange klar, dass die eigentlich die Kriterien nicht erfüllen. Da hätte man reagieren müssen.“
„Aber die Verträge sehen ja auch keine Sanktionen vor. Normalerweise gibt es da ja was, wenn man sich nicht an Regeln hält.“
„Das kann doch auch gar nicht gut gehen, wenn man solche Staaten einfach mit in die Euro-Zone lässt. Die sind von der wirtschaftlichen Entwicklung einfach noch nicht so weit.“
„Da spielen natürlich auch noch andere Aspekte mit rein, nicht nur wirtschaftliche. Man hat ja auf so einem Land viel mehr den Finger drauf, wenn es in der Euro-Zone ist, als wenn Russland da den Finger drauf hat.“
„Das sind zwei Prozent des BIP der EU. Und damit beschäftigen wir uns jetzt seit Monaten!“
„Aber stell dir mal vor, was los ist, wenn Spanien und Italien auch in Schwierigkeiten kommen. So viele Rettungsschirme können wir gar nicht aufspannen!“
„Wenn jetzt auch noch die Urlauber wegbleiben, dann kriegen die Griechen aber wirklich Probleme, die vom Tourismus leben.“
„Ja, das ist für die ja sehr wichtig. Das profitiert dann jetzt die Türkei von. Ist ja auch da in der Ecke.“
„Die deutschen Banken haben sich fast völlig von den griechischen Sachen freigemacht. Die Deutsche Bank hält nur noch eine Milliarde oder so, das ist für die ja Portokasse. Bei den französischen Banken ist das ganz anders. Ob die das einfach nicht verstehen, oder glauben die, dass dann wieder der Staat einspringt?“
„Naja, die deutschen Banken sind da doch wieder über drei Ecken auch wieder dran beteiligt, sodass dann am Ende doch wieder alle drin hängen.“
Und so weiter, ad nauseam. Die Zitate sind natürlich nicht buchstabengetreu, vermitteln aber einen sehr umfassenden Eindruck vom Verlauf der gesamten eineinhalb Stunden, Ehrenwort. Irgendwann musste ich dann gehen. Meine Großmutter und Tante begleiteten mich noch zur Tür und sprachen an, dass ich mich ja kaum an der Unterhaltung beteiligt hätte, worauf ich meinte, naja, es sei ja auch ohne mich gegangen. Meine Mutter freut sich immer, wenn ich auf Familientreffen niemanden direkt beleidige, und ich mache ihr die Freude gern, denn ich habe ihr viel zu verdanken. Meine Großmutter – die ein Talent für solche Sprüche hat – vermutete daraufhin: „Ja, das ist wohl nicht so deine Größenordnung.“
Ich fühlte mich davon jetzt doch ein bisschen angestochen und sagte in dem subtilen Sarkasmus, den ihr von mir kennt und liebt: „Na, was soll ich auch noch sagen, wenn die anderen sowieso schon alles wissen?“
Worauf die beiden ganz ernsthaft nickten.
„Ja, der […] ist schon beeindruckend“, sagte meine Tante über einen der beiden Herren, die das Gespräch im Wesentlichen bestritten hatten und von denen unter anderem die tief analytische Erkenntnis stammte, dass ausbleibende Touristen schlecht für Leute sind, die vom Tourismus leben, und dass die spanische und italienische Volkswirtschaft viel größer ist als die griechische. Da könne kaum jemand mithalten, meinte sie, und er würde ja auch in seinem Beruf viel Geld damit verdienen, dass er über so ein enormes Zahlengedächtnis verfüge und immer so einen perfekten Überblick über die Lage habe.
Und das sind so die Momente, in denen ich mich frage, ob Demokratie wirklich die richtige Regierungsform für uns ist.