Ich fühle mich im Wesentlichen aus zwei Gründen verpflichtet, zur causa Koch-Mehrin Stellung nehmen, obwohl eigentlich alles dazu gesagt ist: Erstens, weil ich damals bei der Guttenberg-Sache daneben lag und erst viel zu spät die Tragweite der Angelegenheit richtig erkannt habe. Und zweitens, weil ich im allerallerweitesten Sinne ein FDP-Sympathisant bin. Um diese beiden Fehler ausgzugleichen, möchte ich diese Gelegenheit nutzen, völlig hemmungslos überzureagieren.
Zur Sache: Ich nehme das alles nicht ganz so schwer wie Anatol Stefanowitsch, aber das liegt nicht daran, dass ich ihm irgendwo inhaltlich widersprechen würde, sondern wohl eher daran, dass mein Bezug zur universitären Arbeit ein völlig anderer ist. Trotzdem werden auch mir diverse Körperflüssigkeiten flockig, wenn eine exponierte erfahrene Politikerin es nicht nur nicht auf Reihe bekommt, trotz nur wenige Monate zurückliegenden idealtypischen Vorbilds, wie man es nicht machen sollte, vernünftig auf den Plagiatsvorwurf zu reagieren, sondern sogar noch die atemberaubende Unverschämtheit findet, anderen Leuten ihre eigene Faulheit, Unehrlichkeit, Rückgratlosigkeit und Dummheit vorzuwerfen:
Zur guten wissenschaftlichen Praxis gehört es, in einer Doktorarbeit ordentlich zu zitieren.
Sogar wenn man mal völlig außen vor lässt, dass eine derartige Unfähigkeit, mit eigenen Fehlern angemessen umzugehen, von einem bedauerlich unterentwickelten Gefühl zeugt für Anstand und Respekt vor der Öffentlichkeit, für die man tätig zu sein vorgibt, und nur den pragmatisch-eigennützigen Aspekt berücksichtigt, ist das immer noch eine erbärmlich ungeschickte Reaktion.
Wie enthoben jeglicher Realität muss man eigentlich sein, um heute immer noch nicht begriffen zu haben, wie man damit umgehen sollte, wenn man öffentlich berechtigt eines nachweisbaren Fehlverhaltens beschuldigt wird?
Man kann es in jedem Ratgeber nachlesen, jeder Spin-Doctor und jeder PR-Berater wird es einem bestätigen, und die Medien sind buchstäblich voll von negativen und positiven Beispielen: Man gesteht den Fehler ein, man bittet um Verzeihung, man bedauert ihn, und man zieht irgendwelche Konsequenzen, die nicht mal besonders dramatisch sein müssen. Wenn man nicht gerade mehrere Kinder vergewaltigt hat (und für manche von uns sogar dann) ist die Sache damit erledigt, und man kann sich vor lauter Respekts- und Hochachtungsbekundungen gar nicht mehr retten.
Frau Koch-Mehrin hat es stattdessen vorgezogen, anderen Leuten die Schuld zu geben, ihr eigenes Versagen abzustreiten und und sich vom Europäischen Parlament in den Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie entsenden zu lassen. Und dazu würde ich nun gerne doch noch mal Herrn Stefanowitsch zitieren:
Hihi, er hat „blasen“ gesagt… Verzeihung. Wo waren wir? Ach ja.
Dies ist mein kleiner Beitrag zu besagtem Shitstorm. Nicht, dass er helfen wird, aber ich fühle mich zumindest besser deshalb. Und das ist doch auch schon mal was.
Nachtrag, 27. Juni 2011: Frau Koch-Mehrin hat gestern, am 26. Juni, auf ihre Position in dem Ausschuss verzichtet. Hätte nicht erwartet, dass sie auf mich hört, und bin jetzt entsprechend angenehm überrascht.